Pessimismus vor der Frühjahrsoffensive: „Pentagon Leaks“ widerlegen euphorische Lageberichte aus der Ukraine

Kein Kriegsglück für Kiew

Hunderte veröffentlichte Geheimdokumente aus den USA zeigen, dass Washington im Ukraine-Krieg das Kommando hat, nicht Kiew. Und die militärische Lage der von der NATO massiv unterstützten und aufgerüsteten Ukraine im Stellvertreterkrieg mit Russland ist eher als hoffnungslos denn Erfolg versprechend zu bezeichnen. Die publik gemachten Dokumente enthalten Informationen zu Waffenlieferungen an die Ukraine sowie detaillierte Angaben zum Munitionsverbrauch und zu dort operierenden Spezialeinheiten aus NATO-Staaten. Zu sehen sind auch Landkarten, auf denen der Frontverlauf eingezeichnet ist – sowie Standorte russischer und ukrainischer Truppenverbände und deren Mannschaftsstärken. Allerdings sind diese Daten teilweise mehrere Wochen alt, militärisch mithin nur begrenzt von Bedeutung.

Verantwortlich für die „Pentagon Leaks“ soll ein junger Nationalgardist sein, der seit einem Jahr aus persönlicher Geltungssucht an eine überwiegend aus Jugendlichen bestehende Chatgruppe geheime Unterlagen weitergegeben haben soll, von der aus die Papiere den Weg ins Internet gefunden haben. Am 13. April wurde Jack Teixeira medienwirksam an seinem Wohnort in Dighton, einer Kleinstadt in Massachusetts, von einem paramilitärisch ausgerüsteten FBI-Kommando verhaftet. Der 21-jährige Airman war Presseberichten zufolge zuletzt als IT-Spezialist auf dem Stützpunkt Cape Cod stationiert, wo eine Aufklärungsabteilung der Nationalgarde ihren Sitz hat. Die „102nd Intelligence Wing“ ist für „weltweite Präzisionsaufklärung“ zuständig und „für die Unterstützung von Kampfeinsätzen und die innere Sicherheit“. Teixeira wird wegen des Besitzes von Geheimdokumenten, die die nationale Sicherheit betreffen, und der Aufbewahrung und Weitergabe von Informationen über die nationale Verteidigung angeklagt. Im Fall einer Verurteilung sollen ihm bis zu 15 Jahre Haft drohen.

Wohl mit Blick auf die für Kiew schlechten Nachrichten gaben Vertreter der ukrainischen Führung lange an, bei den Veröffentlichungen handele es sich um von Russland gefälschte Dokumente. Möglicherweise gebe es gar kein Leak. „Es ist ein gewöhnliches Geheimdienstspiel“, behauptete der Berater des Präsidentenbüros Michajlo Podoljak. Die Dokumente seien von russischen Geheimdiensten selbst produziert worden, um unter den Verbündeten der Ukraine Zweifel und Zwietracht zu säen und von den nächsten Etappen im Krieg abzulenken. Laut „New York Times“ und „Washington Post“ haben hochrangige Mitarbeiter in US-Ministerien und der US-Regierung die Authentizität der Papiere bestätigt – womit die Kiewer Kriegslüge über Produkte aus russischer Geheimdienstküche endgültig aufgeflogen ist. Mit der Weitergabe der Papiere offenbaren sich auch die täglichen Wasserstandsmeldungen etwa des britischen Verteidigungsministeriums über positive Entwicklungen zugunsten der Ukraine als Fake News.

Auf die geplante Gegenoffensive der Ukraine im Frühjahr jedenfalls blickt das US-Verteidigungsministerium pessimistisch. Laut einem Papier mit höchster Geheimhaltungsstufe bezweifelt das Pentagon die Fähigkeit der ukrainischen Armee, große Landgewinne zu erzielen. Washington sorgt sich offensichtlich über fehlende Erfahrung und Munition der ukrainischen Partner – und das, obwohl diese von den USA massiv in der Kriegführung unterstützt und etwa vor bevorstehenden russischen Angriffen gewarnt werden. Aus den Dokumenten soll auch hervorgehen, dass die US-Geheimdienste das russische Militär in erheblichem Maße infiltriert haben.

Brisant ist die Information in den US-Papieren, dass bis zu 100 militärische Spezialkräfte aus NATO-Staaten zwischen Februar und März in der Ukraine im Einsatz gewesen sind. Laut „BBC“ und „Guardian“ sollen etwa 50 Soldaten aus der britischen „Special Forces“-Eliteeinheit stammen. Andere NATO-Staaten sollen demnach mit ähnlichen Einheiten vor Ort sein – so etwa Frankreich und die USA mit jeweils rund 15 Kräften. Deutschland wird von der britischen Presse namentlich nicht genannt. Inwiefern die Kommandosoldaten im Austausch mit ukrainischen Truppen stehen, wo sie stationiert sind und was genau sie machen soll aus den Dokumenten nicht hervorgehen.

Die publik gemachten Geheimdokumente bestätigen laut „BBC“ auch die Ausspähung von UN-Generalsekretär António Guterres. Aus den Papieren soll hervorgehen, dass die USA den 73-jährigen Portugiesen eng überwachen und sein Verhalten gegenüber Russland für zu weich halten. Auch der ukrainische Präsident Wladimir Selenski wird von US-Geheimdiensten belauscht. Die Dokumente zeigen zudem, dass die USA massiv Druck auf Südkorea ausüben, Waffen an die Ukraine zu liefern und die bisherige Politik aufzugeben, keine Waffen in Konfliktgebiete zu schicken. Der US-Verbündete Ägypten seinerseits soll geplant haben, bis zu 40.000 Raketen sowie Artillerie und Schießpulver an Russland zu verkaufen, während er gleichzeitig selbst massive Waffenhilfe von Washington und den EU-Staaten erhält, darunter auch aus Deutschland. Der Nationale Sicherheitsrat der USA betont, es gebe keine Belege dafür, dass ein solches Geschäft stattgefunden hat. Laut einem weiteren Dokument sollen die Vereinigten Arabischen Emirate eingewilligt haben, mit dem russischen Geheimdienst gegen den Westen zu kooperieren.

Unklar ist, ob alle publik gewordenen Papiere der „Pentagon Leaks“ tatsächlich von dem verhafteten einfachen Soldaten Teixeira in Umlauf gebracht wurden oder darunter nicht auch Material ist, das von den US-Diensten selbst in Umlauf gebracht wurde. Nach den Geheimpapieren, die massive Probleme bei der Luftverteidigung sowie Offensivfähigkeiten der Ukraine betonen, sind laut „New York Times“ nun weitere „Top Secret“-Unterlagen aufgetaucht, die eher Positives für die NATO-Staaten präsentieren. Schon ist die Rede von einem zweiten „Maulwurf“. Aus dem neuen Material gehe hervor, dass Russland es nicht geschafft habe, den Nachschub an Waffen und Munition von Verbündeten der Ukraine in das Kriegsland zu stören. Auch in absehbarer Zukunft würden die russischen Kräfte dies nicht schaffen. Die Schlussfolgerung der US-Zeitung: Der Westen kann gefahrlos weiter liefern – wenn er das will. Gut möglich also, dass weitere derart passende „Informationen“ für die Fortführung des NATO-Stellvertreterkriegs von interessierter Seite an die Öffentlichkeit lanciert werden.

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"Kein Kriegsglück für Kiew", UZ vom 21. April 2023



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